Ein zweiter Besuch in Auschwitz

Nachricht 29. September 2023

„Wer die Geschichte nicht erinnert, ist verurteilt, sie neu zu durchleben." (spanischer Philosoph George Santaya am Eingang Block 4, Auschwitz)

  • Mit diesem Zitat überschreibt Nele ihren Bericht über die Studienfahrt im vergangenen März. 

Unten lesen Sie/lest ihr eine Montage aus verschiedenen Berichten dreier Teilnehmenden. Ganz unten gibt es eine Erläuterung zum Konzept der AG selbst von den Lehrkräften. 

Ein zweiter Besuch in Auschwitz. Im Juni 2022 fuhren wir als Schüler*innen der IGS Wunstorf das erste Mal nach Krakau und Oswieciem um das ehemalige Vernichtungslager der Nationalsozialisten zu besichtigen undüber den Holocaust und die Shoah zu reflektieren. Bereits dort gab es emotionale Auseinandersetzungen und mit dem Gewissen zu kämpfen, einem Tätervolk anzugehören. Doch wie war es jetzt bei dem zweiten Mal, als wir Auschwitz im März 2023 erneut besuchten?

Ich sah meine Gruppe, wie sie um die Opfer trauerte, und eine Gruppe von Israeliten, die mit ihrer Flagge durch Auschwitz ging und sich freute; sie freuten sich, dass sie es überlebten, dass ihre Religion dadurch nicht untergekriegt wurde, nein sogar, dass sie dadurch bestärkt wurde. In diesem Moment war mein Schuldgefühl vermutlich am größten.

In einem langen Korridor schauen mich die fotografierten Gesichter ehemaliger Häftlinge an, die diesem Horror ausgesetzt waren.

Sie mussten hier leiden, sie wurden gefoltert, ermordet und gequält. Sie wurden von ihren Familien getrennt und haben sie meist nie wieder gesehen.

Ich habe ein mulmiges Gefühl und meine Tränen laufen mir beide Wangen hinunter. Ich schaue sie mir genauer an, als bei meinem ersten Besuch. Einer der ersten Unterschiede im konkreten Vergleich der Fahrten.

Grade bei den Kindern war es besonders schlimm.

Meist nicht älter als mein eigener Bruder und der Gedanken daran, dass auch er es sein könnte, gibt mir den Rest. Ich fange an, mich unwohl zu fühlen und mir wird kalt, obwohl es recht angenehm warm war. Aber trotzdem will ich mehr darüber erfahren.

In dem Konzentrationslager Auschwitz I, steigerte sich Block für Block und Ausstellung für Ausstellung die Fassungslosigkeit in einem selbst und es bildetet sich ein Abbild davon, was auf dem Boden unter uns geschah. Das es selbst für uns Buddies, welche das zweite Mal mitfuhren, eine neue Erfahrung war, lag wahrscheinlich daran, dass teilweise den neu Mitfahrenden in der Gruppe das Erschrecken ins Gesicht geschrieben stand und sich dies, trotz dem Wissen, was einen erwarten würde, ebenfalls in eine Stimmung versetzt hatte, welche für jede*n einen emotionalen Zustand auslöste, der zum Weinen und intensiven Nachdenken anregte.

Beim Gang durch Auschwitz-Birkenau konnte ich nur beten.

Beten für die Opfer, die Überlebenden, die Angehörigen, aber auch für die Nationalsozialisten, die die Monströsität ihrer Taten nicht erkannten.

Aber vor allem bete ich für meine zukünftige Generation, dass so etwas nicht noch einmal passiert.

Ich fragte mich, wie es gewesen wäre, wären wir uns 85 Jahre vorher an genau diesem Ort begegnet? Wäre ich ein Täter und er ein Opfer? Auch wenn ich wüsste, dass er nie etwas Schlechtes getan hat, einfach nur um mein Überleben zu sichern? Ich habe mich gefragt, wie ich es vertreten kann, diesen Menschen heutegegenüber zu stehen. Nicht weil ich etwas getan habe, sondern weil meine Vorfahren es vielleicht taten. Das war eine Frage, die mich über den erst der Fahrt sehr lange beschäftigt hat, dabei war es sehr gut, dass ich mich bei meinen Lehrkräften zu diesem Zeitpunkt sicher gefühlt habe und mit ihnen offen über meine Schuldgefühle und Betroffenheit zu sprechen.

Eine neue Gruppe, mit auch neuen Mitschüler*innen. Eine andere Jahreszeit, mit anderer Stimmung. Ein anderer Weg nach Polen, mit dem Zug, statt dem Bus und mit mehr umsteigen und zusammenhalten. Diessind erstmal die offensichtlichen und groben Unterschiede von der Fahrt aus 2022 und 2023.

Man hört ein Motorrad vorbei fahren.

Wir drehen uns um und schauen der Maschine hinterher, die in der Landschaft verschwindet. Das ist aber nicht das einzige Fahrzeug und wir selber sind ja auch mit einem Bus hergekommen.

Es wirkt surreal und deplatziert an so einem Ort wie diesem. 

Dieser Ort wird dominiert von der Ruhe und es ist alles leise.

Wenn ich jetzt husten würde, würd das jeder mitbekommen, auch Leute, die nicht in meiner Gruppe sind.

Es fühlt sich so an, als würden die Fahrzeuge die Ruhe und Stille hier nicht akzeptieren.

Lautstärke passt hier nicht hin! 

Ich habe gelernt, das Gefühl zu akzeptieren, bzw. zu akzeptieren, dass ich nichts an der Vergangenheit verändern kann, da ich ja selber keine Schuld oder Teilnahme daran hatte. Daher ist es eher Betroffenheit. Trotzdem wäre es, glaube ich immer wieder schwer in Auschwitz Menschen jüdischen Glaubens oder Angehörige anderer Opfergruppen zu begegnen. Ich denke, um damit besser umgehen zu können, muss ich helfen, Menschen, die immer noch nicht in der Gesellschaft anerkannt werden, irgendwie zu integrieren. Personen die abwertend behandelt werden, gut behandeln, sodass sie sehen, dass ihr Leben lebenswert ist.

Wir sogenannten „Buddies“ hatten uns besonders fokussiert und detailliert mit dem Thema Holocaust und dessen Unterthemen auseinandergesetzt, um bei der Reise als Hilfe für Mitschüler*innen informationsgefüllte und offene Begleitungen zu sein.
Während der Fahrt kamen so auch öfters Mitschüler*innen zu uns und baten um Hilfe oder Hintergrundinfos zu dem gerade besprochenen Thema. Wir stellten eine noch eher bekanntere und nähere Hilfe für sie dar, als es die Lehrer tun, da selbst auch bei einer netten und kompetenten Leitung, wie unserer, die Mitschüler weniger Autorität überbringen und schneller erreichbar sind.

Da ich nun bereits das zweite Mal da war, konnte ich mich mehr auf Kleinigkeiten und meine Gefühle konzentrieren. 

Es war nicht mehr alles so groß und überwältigend wie beim ersten Mal.

Die verbliebenen Haare, tausende Schuhe, abgenutzte Zahnbürsten und Rasierpinsel - Reste aus einzelnen Schicksalen von mehr als einer Million Opfer des NS-Terrors sah ich zum zweiten Mal. Sie überraschten nicht (mehr).


Auch das Tagebuch, welches wir am Anfang der Fahrt bekommen haben, hat mir geholfen abends in meinem Bett etwas Abstand von dem Thema zu nehmen, damit ich entspannt schlafen konnte.

Ein anderer Unterschied erfolgte auch bei der Führung durch die
Konzentrationslager. Die Frau, die uns dieses Jahr durch Auschwitz I und Auschwitz II begleitete, legte deutlich den Fokus auf das emotionale Erinnern der Shoah, im Gegensatz zu 2022, wo die Führung sich eher sachlich auf Fakten aus dieser Zeit konzentrierte und nicht emotionalisierte. Für uns, die Buddies, entstanden so zwei verschieden Auslegungen, wie man die Geschichte erzählen kann. Für diejenigen, die neu dabei waren, entstand eine emotionale Grundlage, welche von bereits vorhandenem und noch dazukommenden Wissen gestützt und ausgebaut werden kann.

Wie kann ein Mensch so etwas einem anderen Menschen antun? 

Auf diese Frage finde ich keine umfassende allgemeingültige und zufriedenstellende Antwort. Dass, was die Wissenschaft liefert, reicht nicht. 

Die gesamte Fahrt in diesem Jahr, hinterließ also eine sehr emotionale und von Wissen gestützte Erinnerung an die Ereignisse im Konzentrationslager Auschwitz I und II und verbindet uns Schüler*innen, in dem wir gemeinsam diese Erfahrung machen durften und Momente schufen, welche uns menschlich weiterbrachten.

Die Reise war auf jeden Fall eine Bereicherung für mich, ich denke, jede*r, die*der etwas mit der Geschichte des Nationalsozialismus zu tun hat, sollte einmal nach Auschwitz reisen und sich so rgenau wie möglich einen Eindruck unserer Vergangenheit machen. Für mich war es bisher immer sehr schwer, diese Vergangenheit Deutschlands zu akzeptieren. Ich fühlte mich an genau diesem Ort dauerhaft schuldig, das ist ein Gefühl, welches ich vermutlich nie vergessen werde. 

Ich bin froh, dass ich ein zweites Mal mit gefahren bin und diese ganzen Kleinigkeiten wahrgenommen habe. Bei meinem ersten Mal in Auschwitz habe ich nicht besonders auf meine Gefühle geachtet, da immer was neues Großes und zu Beachtendes kam. Dieses Mal war das anders. Am Ende unserer Führung war Ich mir sicher, dass jede*r es einmal oder mehrmals gesehen haben muss.

Und auch dass man Schüler*innen so etwas zumuten kann, denn jeder, der dieses unglaubliche Verbrechen gesehen hat, wird zukünftig seinen Teil (hoffentlich) dazu beitragen, dass so etwas NIE wieder passiert.

Die diesjährige AG mündete in einem wegweisenden Fazit: Auschwitz ist nicht nur ein Mahnmal der Vergangenheit, sondern kann auch als Symbol für Vergebung und Völkerverständigung gesehen werden.

(Noel Milde, Caroline Landgraf und Nele Sophie Homann) 

 

 

 

Die AG „Die Shoa erinnern und reflektieren“ ist ein Projekt, welches im Schuljahr 2022/2023 zum vierten Mal stattfand. Die Konzeption der Studienreise besteht in der Realisierung der AG und der Studienfahrt durch zwei Gruppen. Die eine Gruppe ist die Gruppe der Schüler*innen, die schon einmal die AG durchlaufen sind und ihre individuellen Erkenntnisse an andre Schüler*innen weitergeben wollen. Mittels des peer-to-peer-Ansatzes organisieren die „Buddies“ die inhaltliche Vorbereitung und Durchführung vor Ort mit Unterstützung der Lehrkräfte. Die Fahrt selbst ist zweigeteilt. Wir besuchen zunächst die Stadt Krakau und setzen uns dort mit den Spuren jüdischen Lebens auseinander, besuchen die Schindlerfabrik und das Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Plaszow. Anhand der Person Oskar Schindler werden einige inhaltlichen Fragen und Thematiken bezüglich Täter*innenschaft erarbeitet und diskutiert. Daran anschließend fährt die Studiengruppe nach Oswieciem um sich die Kleinstadt anzusehen und zu reflektieren, wie an diesem Ort mit Erinnerung umgegangen wird. Kern des Besuchs in Osiweciem ist der Besuch der Gedenkstätte Auschwitz. Von diesem Besuch stammen die obigen Reflexionen. 

 

Die Studienfahrt wurde vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. und der Sparkasse Wunstorf gefördert. 

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Lisa Dopke